Die Fusion bringt keine Vorteile
PR + MARKETING ≠ 1
Nein, die Fusion der Abteilungen PR und Marketing ist kein Muss. Auch wenn häufig das Gegenteil behauptet wird. Aus ihrer Integration resultieren nicht per se entscheidende Vorteile für die Gesamtkommunikation einer Organisation.
Eine kleine Polemik von Collin Scholz, Pilot:Projekt GmbH
In ermüdender Regelmäßigkeit stoße ich auf Artikel, deren Autorinnen und Autoren ein Thema wiederkäuen: das Für und Wider des Verzahnens von PR und Marketing. Den ersten dieser Beiträge habe ich um 2003 gelesen, den bislang letzten vor wenigen Tagen.
Einschläfernd und zugleich ärgernd ist das Einseitige in der Argumentation. Denn die Verfasserinnen und Verfasser enden stets mit der Punktlandung: PR und Marketing gehören zusammengelegt. Nein, selbstverständlich habe ich nicht jeden Beitrag zu diesem Thema erfasst. Doch unter jenen, die ich gelesen habe, war keiner, in dem die Urheberin oder der Urheber von der Integration der beiden Bereiche abrät.
In vielen Organisationen gilt die Koexistenz als sinnvoll
Dass bis heute für die Fusion von Marketing und PR geworben wird, interpretiere ich so: In den meisten Organisationen erachtet man die Koexistenz der beiden Bereiche immer noch für sinnvoll. Und was ich für besonders bemerkenswert halte: In manchen Unternehmen, in denen vor einigen Jahren die strukturelle Trennung zwischen den beiden Disziplinen fiel, wurden zwischenzeitlich diverse „Änderungen am damaligen Setup“ vorgenommen. So in einem weltweit agierenden deutschen Technologiekonzern, wie mir dessen Kommunikations-Chefin hier mitteilte. Das zeigt: Eine Fusion ist nicht per se erfolgreich.
Um Missverständnisse vorzubeugen: Selbstverständlich ist eine enge Zusammenarbeit der beiden Einheiten mit einem ständigen Informationsaustausch notwendig. Das gilt insbesondere für die Produkt- und Vertriebs-PR. Doch habe ich in fast 25 Berufsjahren gelernt: Bereits diese beiden Schnittstellen bergen ein hohes Konfliktpotenzial. Der Streit bricht auf, sobald eine dominante Marketing-Abteilung versucht, die PR zu ihrem Büttel zu machen und davon ausgeht, dass mühsam als Pressemitteilungen getarnte Werbebotschaften von Redaktionen ungefiltert übernommen werden. Leider ist dieses Phänomen in der Praxis weitaus häufiger als gedacht. Eine Fusion mit dem Marketing würde die PR-Fraktion mit Blick auf die Maßnahmen der Produkt- und Vertriebs-PR eher schwächen als stärken.
Marketing hat in etlichen Segmenten der PR nichts verloren
Wenn ich mir die weiteren PR-Segmente vor Augen führe –Human Relations, Corporate Identity, Media Relations, Public Affairs, Community Relations, Öko Relations, Issues-Management sowie Krisen-Kommunikation – dann erkenne ich keine Vorteile für diese kommunikativen Bereiche, die aus einer Verzahnung mit dem Marketing resultieren. Polemisch formuliert: Das Marketing hat dort nichts verloren.
Folgendes Beispiel möge dies verdeutlichen: In der Werbekampagne Vogel checkt setzt die Deutsche Post/DHL den Schauspieler Jürgen Vogel als Testimonial ein, um die digitalen Services und Klimaschutzaktivitäten des Konzerns bekannter zu machen. Im Marketing-Fachmedium HORIZONT heißt es dazu „Vogel wird dabei zum Post-Checker. Die Kompetenz dazu hat er: Er war mal selbst Postzusteller. (…) Wenn einer die Kompetenz hat, die Deutsche Post und DHL auf Herz und Nieren zu prüfen, dann ist es Jürgen Vogel. Der Schauspieler Drehbuchautor und Sänger war mal vor Beginn seiner Karriere Postzusteller. (…)“ https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/deutsche-post-dhl-schauspielstar-juergen-vogel-wird-zum-post-checker-189546
Als ich die Passage las, musste ich lachen. Jürgen Vogel arbeitete Ende der 1980er Jahre in verschiedenen Jobs, um in der Zeit zwischen seinen ersten Engagements auf der Bühne und vor der Kamera Geld zu verdienen. So auch als Paketzusteller. Und nach nunmehr 30 erfolgreichen Jahren als Schauspieler (die Komödie „Kleine Haie“ aus 1992 war sein erster großer Erfolg) verfügt er also noch über hinreichende Kompetenz, um Konzern-Maßnahmen im Bereich Digitalisierung und Klimaschutz auf „Herz und Nieren“ zu prüfen? Und dass er die Maßnahmen tatsächlich gecheckt hat und nicht nur vorgegebene Texte vorträgt: Muss man das glauben?
Es liegt mir fern, die Kampagne zu diskreditieren. Sie trägt zweifellos dazu bei, die Konzern-Maßnahmen bei den anvisierten Zielgruppen bekannter zu machen. Doch ich behaupte: In den PR-Bereichen Public Affairs, Community Relations und Öko Relations bedarf es anderer Vorgehensweisen, um die Dialoggruppen von der Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen.
Viele Argumente für die Integration sind Plattitüden
Welche Argumente sollen das Zusammengehen von PR und Marketing begründen? Manche kommen über den Plattitüden-Status nicht hinaus:
Marketing und PR unter einem Dach ist ein klares Signal für Kommunikation aus einem Guss, man könne dann ganzheitlich das volle Potenzial ausspielen, sei geschmeidiger und flexibler unterwegs und spricht auf allen Kanälen mit einer Stimme.
Ist dem so? Gibt es dafür aussagekräftige Beispiele?
Weitaus konkreter werden jene, die der PR quasi die Rolle eines Hütehundes zuweisen, der das Marketing vor Torheiten bewahren soll. Bewege das Marketing sich doch seit geraumer Zeit in einem dynamischen Umfeld - den sozialen Medien – in dem Menschen unmittelbar auf Marketing-Maßnahmen reagieren können. Nicht zuletzt mit Shitstorms, wenn ein Clip, ein Plakat oder ein Slogan als rassistisch, sexistisch, frauenfeindlich oder in anderer Weise als diskriminierend interpretiert wird. Beispiele für derartige Missgriffe gab es in den vergangenen Jahren einige. Doch erfordert das Verhindern dieser Fehlleistungen tatsächlich das Zusammenlegen der beiden Abteilungen? Wenn sie gut kommunizieren, gehört zum Informationsfluss auch eine Abstimmungsrunde bei größeren Kampagnen, bei der eventuelle Risikofaktoren angesprochen und gegebenenfalls beseitigt werden.
Ich denke, das Marketing bedarf keiner kontinuierlichen Kontrollinstanz.
Online-Kommunikation ebnet die Unterschiede nicht ein
Wieder andere sagen, die Digitalisierung, die sozialen Medien, die Online-Kommunikation insgesamt habe die Grenze zwischen PR und Marketing eingerissen und zu einem starken Vermischen der Inhalte geführt. Das mache eine weitere Trennung von Marketing und PR unmöglich. Ich halte das für sehr steile Thesen. Als ob sämtliche Ziel- bzw. Dialoggruppen plötzlich in einen Topf geworfen oder – andere Assoziation – aus einem Topf gefüttert werden könnten. Nein, beides trifft auch weiterhin nicht zu. Marketing und PR haben auch künftig verschiedene Aufgaben, andere Ziele und unterschiedliche Zielgruppen. Das Nutzen gemeinsamer Kanäle führt nicht zum Einebnen der Unterschiede.
Weitere Argumente: Interdisziplinäre Teams können auf mehreren Ebenen agil arbeiten, was die Zusammenarbeit verbessert und zu einer besser verzahnten Außenkommunikation führt. Oder: Kommunikation aus einem Guss führt dazu, dass Kunden kanalübergreifende Botschaften positiv wahrnehmen und deren Mehrwert schneller einordnen können.
Vielleicht liege ich völlig daneben, aber ich höre in derartigen Hinweisen immer das Marketing erheblich stärker durch als die PR. Profitiert die auch?
Kooperieren statt fusionieren
Um zum Ende zu kommen: Bekanntlich haben einige Konzerne ihre PR- und Marketing-Abteilungen zusammengelegt. Ob das für sie ein Qualitätssprung bedeutet, vermag ich nicht zu beurteilen. Auch nicht, ob sie damit Synergien heben und Kostenvorteile realisieren können. Aus meiner Erfahrung weiß ich: Es gibt mittelständische und große Unternehmen, in denen die PR und das Marketing in jenen Bereichen sehr gut kooperieren, in denen es erforderlich ist. Das ist für mich das Ideal. In anderen Organisationen knirscht die Zusammenarbeit. Ob dort eine Fusion Abhilfe schafft, wage ich zu bezweifeln.