Profillos, belliebig, überflüssig

Marken in der Krisen

Was kennzeichnet eine starke Marke? Welche Ansprüche müssen Organisationen und deren Angebote erfüllen, um dieses Prädikat zu erhalten? Auch vor dem Hintergrund aktueller Krisen, die den Lebensstandard vieler Menschen drücken?

Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch, Inhaber des Lehrstuhls für Markenmanagement der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Oestrich- Winkel

Um viele Marken scheint es nicht gut bestellt zu sein: „Es gibt immer weniger starke Marken“, urteilt Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch, Inhaber des Lehrstuhls für Markenmanagement der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Oestrich- Winkel. Er verweist dabei auf die Ergebnisse eigener Forschungsarbeiten sowie auf Studien von Marktforschungsinstituten wie das IFH in Köln und die GfK in Nürnberg.

„Die meisten Marken gehen im Einheitsbrei austauschbarer Aussagen und Versprechen unter“, kritisiert Franz-Rudolf Esch die Verantwortlichen in den Unternehmen scharf. „Sie unterscheiden sich kaum noch voneinander und sind für Kunden ersetzbar und somit auch verzichtbar geworden. Das begründet den Siegeszug der Handelsmarken.“ Seit geraumer Zeit achten die Konsumenten bei zahlreichen Produkten des alltäglichen Lebens immer weniger auf die Marke, sondern nur noch auf den Preis. Dieser Trend verschärfte sich in den vergangenen Monaten aufgrund der hohen Preissteigerungsraten noch erheblich.

Drei von vier Marken sind für Konsumenten bedeutungslos

Prof. Dr. Karsten Kilian, Leiter des Masterstudiengangs Marken- und Medienmanagement an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, beziffert das Ausmaß dieser Negativ-Entwicklung: „Studien zufolge sind drei von vier Marken des täglichen Bedarfs für Konsumenten bedeutungslos. Das heißt: Die meisten Produkte würden nicht vermisst, sollten sie vom Markt verschwinden.“ Und dies trotz hoher Investitionen in die Markt-Kommunikation.

Worin liegen die Ursachen für diese Fehlentwicklung? Eine Ursache nennt Dr. Henrik Sattler, Direktor des Instituts für Marketing und Medien an der Universität Hamburg und Professor für Betriebswirtschaftslehre: „Die Märkte wurden infolge der Digitalisierung und der sozialen Medien immer transparenter. Dadurch verloren Marken ihre Bedeutung als Informationsquelle.“

Prof. Dr. Karsten Kilian, Leiter des Masterstudiengangs Marken- und Medienmanagement an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt

Marken im Verdrängungskampf

Franz-Rudolf Esch verweist auf die stark gestiegene Komplexität der Bedingungen, unter denen Unternehmen agieren müssen. Dazu gehört die Ansprache von Kundengruppen, die immer präziser definiert und somit immer kleinteiliger werden. „Das macht das Marken-Management wesentlich anspruchsvoller.“ Zumal die kontinuierlich steigende Informationsfülle sich nachteilig auf das Interesse und die Fähigkeit der Menschen auswirke, diese Informationen aufzunehmen.

Für Karsten Kilian tragen zudem rein marktwirtschaftliche Gründe zum Bedeutungsverlust vieler Marken bei. „Das Warenangebot nahm in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich zu. Demgegenüber sind Kaufkraft und Bedarf nicht in gleichem Maße gewachsen. Ein steigendes Angebot bei kaum wachsender Nachfrage führt zwangsläufig zum Verdrängungswettbewerb und damit zu einer sinkenden Markenloyalität. Diesem Wettbewerb können sich nur wenige, wirklich profilierte Marken entziehen.“

Viele hausgemachte Fehler

Ein weiterer Grund: Die für Marken verantwortlichen Managerinnen und Manager wechseln immer schneller, wie Karsten Kilian beobachtet. „Mit jeder Neubesetzung geht oft ein Strategiewechsel einher. Deshalb ist die Schwächung der meisten Marken hausgemacht. Sie werden überdehnt, Sortimente ohne Rücksicht auf Stammkunden zusammengestrichen und die Kommunikations-Kampagnen im Monatsrhythmus verändert.“ Auch häufige Veränderungen des Verpackungsdesigns und Namensänderungen wie von Calgonit zu Finish und von Brise zu Glade ließen Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Marken nicht wiedererkennen.

Prof. Dr. Henrik Sattler, Direktor des Instituts für Marketing und Medien an der Universität Hamburg

„Nur wenige Unternehmen wissen, wie Marken wirksam aufgebaut werden, und setzen diese Kompetenz auch konsequent um“, klagt Franz-Rudolf Esch. Den Unternehmen fehle die langfristige strategische Ausrichtung der Marke, zu der das Entwickeln einer eindeutigen Identität und einer klaren Positionierung ebenso gehöre wie deren wirksame Kommunikation. „Der Einheitsbrei kommunikativer Ansätze mit den immer gleichen Motiven stumpft das Publikum nur weiter ab und hilft der Marke nicht, ein klares Profil zu finden“, ist der Marken-Experte überzeugt.

Verändern aktuelle Krisen die Marken-Wahrnehmung?

Beim Stichwort Markenprofil verweist Collin Scholz, Mitglied der Geschäftsführung der Pilot:Projekt GmbH, auf einen anderen Aspekt: „Der Klimawandel, die Pandemie sowie der Krieg in der Ukraine mit all seinen Konsequenzen beeinträchtigen den bisherigen Lebensstandard vieler Menschen immer stärker. Besonders hart treffen sie den einkommensschwachen Teil der Bevölkerung. Das forciert die soziale Ungleichheit im Land und zersetzt das Prinzip der Chancengleichheit. Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage: Wie reagieren Marken auf diese ungewohnt komplexe Krisenkonstellation? Wie nehmen sie ihre Verantwortung für die Gesellschaft wahr? Was kennzeichnet künftig eine starke Marke?“

Die aktuellen Krisen bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und vergrößern den Abstand zwischen Arm und Reich

Für Collin Scholz steht fest: „Was eine Marke tatsächlich tut und was sie unterlässt, wofür sie eintritt und was sie ablehnt, wird für ihre Reputation und ihr Image erheblich wichtiger als ihre Werbebotschaften.“ Das neue Technologien weitere Möglichkeiten eröffnen, die Mitglieder der Kundenzielgruppen individuell und zu jeder Zeit anzusprechen, sei kein Erfolgsgarant. „Niemand befinden sich stundenlang auf einer Customer Journey. Und das Interesse an Werbung ist seit Jahren im Sturzflug“, urteilt Scholz. „Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Marken für etwas stehen, was möglichst vielen Menschen wichtig ist. Idealer Weise ergibt sich ein Match der Wertesysteme.“ Dies sei am Verhalten der jüngeren Generationen zu beobachten. „Deren Mitglieder geht es nicht mehr darum, sich mit einer Marke zu identifizieren. Für sie ist es entscheidend, ob ihre eigene Identität und die Identität der Marke zusammenpassen. Das ist ein großer Unterschied.“

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