Noch stark ausbaufähig
KI in der PR
Anwendungen Künstlicher Intelligenz in der Kommunikation sind hilfreich. Doch noch können sie weniger, als manche glauben. Weder sind sie Konkurrenten für PR-Profis, noch münden sie zeitnah in ein Modell der neuronalen Unternehmens-Kommunikation (MetaCom).
Ein Beitrag von Collin Scholz, Pilot:Projekt GmbH
Der geschätzte Hartwin Möhrle veröffentlichte kürzlich auf LinkedIn den anregenden Beitrag „Die Kommunikation wird neuronal“ (https://www.linkedin.com/pulse/die-kommunikation-wird-neuronal-hartwin-m%25C3%25B6hrle/?trackingId=KhUBUugeeaRRss7r0mHCEg%3D%3D)
Ich schwanke zwischen Zustimmung und Widerspruch. Denn Hartwin Möhrle entwirft in seinem Beitrag nicht nur eine kräftige Vision von der künftigen Ausrichtung der Kommunikations-Abteilungen in Organisationen. Erfrischend realistisch nimmt er auch jene Hürden in den Blick, die seinem Entwurf entgegenstehen. In seinem Szenario erlebt der Newsroom „im wahrsten Sinne des Wortes eine Metamorphose: aus der Corporate Communication wird Corporate MetaCom – das kommunikative Metaverse.“
Es geht ihm also darum, die neuen, auf Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) basierenden Instrumente im großen Stil für die Kommunikations-Abteilungen nutzbar zu machen. Meine Erfahrungen mit diversen dieser Tools sowie der Kommunikations-Kultur in etlichen Organisationen lassen mich allerdings daran zweifeln, ob wir diese Corporate MetaCom in absehbarer Zeit breitflächig realisiert erleben werden.
Nehmen wir die KI-Texter. Die führenden Produkte erstellen nach einem Briefing Textvorschläge, die nicht auf ihre digitale Herkunft schließen lassen. Das ist zweifellos eine beachtliche Leistung. Und das Programm des Top-Anbieters bietet hinsichtlich Textsorten bzw. Aufgabestellungen bereits zehn Rubriken mit insgesamt 93 Subrubriken an. Liebesbriefe inklusive.
Allerdings: Die inhaltliche und sprachliche Qualität der Texte hängt stark vom Briefing ab. Und in der Zeit, in der ich das Briefing für eine Produktbeschreibung eintippe, kann ich die Beschreibung auch selbst verfassen. Wer Zeit sparen möchte und nur Stichworte eingibt, erhält Vorschläge, die meiner Meinung nach sprachlich und inhaltlich unbedingt bearbeitet werden müssen.
Wenig hilfreich sind die Programme für das Verfassen von Fachartikeln. Und Achtung: Es irrt, wer glaubt, die KI-Programme können fremde Texte derart umformulieren, dass sie nicht mehr als Plagiat erkenntlich wären.
Polemisch formuliert: Das Data Driven Copywriting liefert derzeit brauchbare Vorlagen für bestimmte Textsorten des Marketings. Vorlagen, die bearbeitet werden müssen, sollen sie nicht als 08/15-Texte von der Stange erkennbar sein. Gute, also der Leserschaft Nutzwert vermittelnde Beiträge des Content-Marketing lassen sich damit ebenso wenig auf Knopfdruck erstellen wie PR-Texte für spezielle Themen.
Wenn Hartwin Möhrle zum Thema Monitoring schreibt: „Medienresonanzkurven waren gestern, heute blicken wir auf Muster, Cluster, Profile, Verdichtungen und Verästelungen – auf die Synapsen und Nervenstränge der Kommunikationsgesellschaft“, dann kann ich aufgrund meiner Erfahrungen nur entgegnen: Schön wärs! Das mag selbstverständlich daran liegen, dass er fortschrittlichere Auftraggeber hat. Allerdings tröstet mich sein relativierender Nachsatz „Technisch machbar ist das.“ Dem ich anfügen möchte: Allerdings wird es in der Praxis derzeit noch kaum realisiert.
Zudem erscheint mir der Verweis auf die technische Machbarkeit zu optimistisch. Ich erhielt dieser Tage ein Ranking der Medienanalyse-Dienstleister. In der Kategorie „Auswertung von Inhalten“ führt ein von mir geschätzter Anbieter. Allerdings liegt sein Algorithmus in der Beurteilung von Text-Inhalten (positiv – neutral – negativ) bezüglich unserer Auftraggeber oft daneben. Woran das liegt, lässt sich mit Hinweis auf den Algorithmus erläutern, doch das hilft mir auch nicht weiter. Wie bei den KI-Textern sehe ich auch in diesem Segment noch Luft nach oben. Gleiches gilt auch für die Leistungen von Chatbots und Instrumente zur Suchmaschinenoptimierung.
Das Ganze erinnert mich an die Entwicklung beim Thema Autonomes Fahren. Vor sieben, acht Jahren waren die mit diesem Komplex verknüpften Erwartungen deutlich höher als heute, obgleich die Technologie selbst seither kontinuierliche Fortschritte machte. Weil man erkannte: Bislang ist keine KI in der Lage, das Unvorhersehbare zu managen und ein Fahrzeug in einem natürlichen Umfeld stets sicher zu bewegen. Dieses können sie nur auf Versuchsstrecken, auf vorab festgelegten Autobahnabschnitten oder in Parkhäusern.
Auch für die Kommunikation gilt: KI-Lösungen können bereits erstaunlich viel, und es lohnt sich, sich mit ihnen zu befassen. Doch noch erfordern ihr Einsatz Zeit, Know-how, Kontrolle und eine fachkundige Interpretation der Resultate.
Uneingeschränkt stimme ich daher Hartwin Möhrle zu, wenn er über die Predective Analytics-Systeme schreibt: „Entscheidungen müssen wir auf absehbare Zeit immer noch selbst treffen. Alles andere ist Marketinggeklingel.“ Sehr wahr!
Das von ihm entwickelte Szenario der Corporate MetaCom halte ich für forsch. Der Newsroom ist nach meiner Meinung noch kein Modell, dem das Etikett „in den Organisationen weitestgehend etabliert“ angehängt werden kann. Sollte der Newsroom tatsächlich eine Metamorphose durchlaufen hin zum Modell der neuronalen Kommunikation, dann geschieht das wohl nur in einer sehr überschaubaren Zahl von Organisationen. Wie sieht es hingegen in der Breite aus? Und was muss dort getan werden, um in den Kommunikations-Abteilungen zunächst die erheblichen Lücken zu den Vorreitern zu schließen?
Hartwin Möhrle regt einen „Zugriff auf die Corporate Public Library“, an, die sämtliche „wichtigen, aktuellen und öffentlichkeitsrelevanten Daten zum Unternehmen“ bereithält und auf die „neben Management und Mitarbeiter:innen auch berechtigte Journalist:innen, Politiker:innen und relevante Stakeholder“ zugreifen können. Setzt das nicht - neben technischen Innovationen - eine Revolution (ein zu großes Wort?) in der Kommunikations-Kultur auf den Führungs-Etagen der Organisationen voraus?
Dies knüpft meiner Meinung nach an die Erkenntnis von Hartwin Möhrle an: „Das größte Problem der Zukunft ist die Gegenwart“. Das gilt zum einen für den Stand der KI-Anwendungen. Man kann sagen: Keine Angst vor der KI in der PR – noch kann sie weniger, als manche befürchten. Und es gilt zum anderen für die Rolle der Kommunikation in vielen Organisationen. Denn dort spielen Entwicklungen wie Data Storytelling und CommTech leider noch keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Insofern ist es ratsam, diese Themen viel stärker in die Breite zu tragen als bisher. Vielleicht ist der Weg zur MetaCom dann nicht mehr gar so gewaltig lang, wie er derzeit zu sein scheint.